Audiovisuelle Vernehmungen von Zeuginnen und Zeugen in Ermittlungsverfahren: nur für die Akte oder auch fürs Verfahren?
Projektlaufzeit: 5/2023 - 4/2025
Projektbeschreibung
Am 1. Dezember 1998 trat das Zeugenschutzgesetz (ZSchG) in Kraft, mit dem in § 58a StPO die Möglichkeit geschaffen wurde, Vernehmungen von Zeuginnen und Zeugen während des Ermittlungsverfahrens in Bild und Ton aufzunehmen. Während Aufzeichnungen polizeilicher bzw. staatsanwaltlicher Vernehmungen in eine Hauptverhandlung nach den Regeln zur Verlesung eines Protokolls (§ 255a I StPO) eingeführt werden können, erlaubt der ebenfalls im ZSchG enthaltene § 255a II StPO, solche von ermittlungsrichterlichen Vernehmungen dort vernehmungsersetzend vorzuführen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Letztere wurden in den vergangenen 25 Jahren dreimal, jeweils mit der Folge eines erweiterten Anwendungsbereichs, geändert.
Zwar befassen sich einige Studien u. a. mittels Strafaktenanalysen mit der audiovisuellen Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen. Allerdings stammen diese überwiegend aus den ersten 2000er Jahren, sodass sie lediglich die ursprünglichen Regelungen und die frühe Praxis erfassen konnten. Zudem beziehen sie nur Verfahren ausgewählter Staatsanwaltschaften ein und prüfen vorrangig, in wie vielen von diesen polizeiliche, staatsanwaltliche und/oder ermittlungsrichterliche audiovisuelle Vernehmungen durchgeführt worden waren. Da die Aufzeichnungen jedoch primär dazu dienen sollen, belastende Mehrfachvernehmungen zu vermeiden, kann ihr Erfolg nicht allein darin gesehen werden, dass sie überhaupt, dann aber möglicherweise nur „für die Akte“, stattfinden. Deshalb lautet die Kernfrage des Forschungsprojektes:
Werden Aufzeichnungen von audiovisuellen Vernehmungen im weiteren Verlauf eines Strafverfahrens genutzt? Wenn das der Fall ist: in welcher Form und mit welchem Ergebnis?
Um dieser Frage nachzugehen, werden - nach einer ersten bundesweiten Abfrage bei allen Staatsanwaltschaften - die Akten jener Verfahren erbeten und analysiert, die wegen des Vorwurfs der Begehung einer Sexualstraftat geführt und durch Urteil rechtskräftig abgeschlossen wurden, zudem mindestens eine audiovisuelle Vernehmung während des Ermittlungsverfahrens umfassen und in der jeweiligen Staatsanwaltschaft die zeitlich letzte Entscheidung stellen, die diese Voraussetzungen erfüllt.